Connected: Sechs Kompetenzen, eine gemeinsame Sprache
Autorin: Sarah Hadorn
?Verantwortungsbewusst handeln?, ?Innovation antreiben?, ?Brücken bauen? – das sind drei von sechs neuen Sozial- und Leadershipkompetenzen der ETH Zürich. Wie diese die Menschen an der und rund um die ETH vernetzen und die Hochschule in die Zukunft führen, erkl?rt Dr. Sara van Leeuwen im Interview.
Die Schulleitung der ETH Zürich hat im Gesch?ftsjahr 2022 sechs Sozial- und Leadershipkompetenzen verabschiedet. Was ist der Sinn und Zweck solcher Kompetenzen?
Dr. Sara van Leeuwen: Gut integrierte Sozial- und Leadershipkompetenzen geben Orientierung und schaffen eine gemeinsame Sprache. Die Kompetenzen sollen an der ETH ein kollektives Verst?ndnis davon erm?glichen, welches zwischenmenschliche Verhalten wir f?rdern wollen und was gute Leadership bedeutet. Damit will die ETH ihre Mitarbeitenden einerseits konkret bei der Ausübung ihrer T?tigkeit unterstützen. Andererseits geben die Kompetenzen vor, in welche Richtung sich die Hochschule in Bezug auf ?berfachliches noch ?strecken? will, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.
Wer hat die Sozial- und Leadershipkompetenzen der ETH entwickelt?
Das war ein Prozess mit vielen Beteiligten: Sie wurden unter Federführung des Vizepr?sidiums für Personalentwicklung und Leadership und mit breitem Einbezug von Vertreterinnen und Vertretern s?mtlicher Gruppen an der Hochschule entwickelt – also von der ETH für die ETH. Schliesslich betreffen die Sozial- und Leadershipkompetenzen alle Mitarbeitenden und keinesfalls nur Führungspersonen.
Die ETH ist ein Magnet für internationale Talente in Forschung und Lehre. Dies führt zu einer diversen Gemeinschaft. Wie wichtig sind institutionell verankerte Sozial- und Leadershipkompetenzen in einem solchen Umfeld?
Die ETH hat tats?chlich das Privileg, die besten Forschenden und talentiertesten Studierenden aus aller Welt anzuziehen. Diese Leute bringen aber auch hohe Erwartungen mit. Wir stehen deshalb in der Pflicht, unsere Kultur kontinuierlich zu verbessern und weiterzuentwickeln, damit sich diese internationalen Talente bei uns wohlfühlen und Spitzenleistungen erbringen k?nnen. Dabei spielen die neu verabschiedeten Kompetenzen eine zentrale Rolle.
?Unsere Leitfrage bei der Entwicklung der Kompetenzen war: Welche Kultur suchen die Top-Talente von morgen??Sara van Leeuwen
Die sechs Sozial- und Leadershipkompetenzen der ETH sind: ?Verantwortungsbewusst handeln?, ?Innovation antreiben?, ?Brücken bauen?, ?Wohlbefinden f?rdern?, ?Inklusion leben? und ?Menschen bef?higen?. Warum gerade diese?
Bei der Entwicklung haben wir uns die Leitfrage gestellt: Welche Kultur suchen die Top-Talente von morgen? Welche Sozial- und Leadershipkompetenzen machen die ETH zukunftsf?hig? Bei der Beantwortung haben wir uns unter anderem an aktuellen Forschungsergebnissen und Leadership-Modellen orientiert. Zum Beispiel am Trend weg von Hierarchien und klaren Rollen hin zu dezentralisierter Führung und fliessenden Rollen. Insbesondere junge Menschen sind heute viel reflektierter und wollen keine institutionelle Macht mehr, die ihnen alles vorschreibt. Sie wollen Wertsch?tzung, Inspiration und Entscheidungskompetenz.
Wie spielen die Kompetenzen mit der ETH-Vision und -Mission sowie den ETH-Werten zusammen?
Alles zusammen bildet eine Art ?logisches Netz?: Die Vision beschreibt den Soll-Zustand einer dezentralen, werteorientierten (Führungs-)Kultur, w?hrend Mission und Strategie festhalten, was die ?Raison d’?tre? der Institution ist und wie man die Vision realisieren will. Die Kompetenzen wiederum orientieren sich an den ETH-Werten (Verantwortung, Einfallsreichtum, Offenheit, Respekt, Inklusion und Bef?higung) und sind ein wichtiges Instrument, um die Strategie umzusetzen – sprich die Menschen in die richtige Richtung zu bewegen. Dazu z?hlt auch das Miteinander über die Hochschule hinaus, zum Beispiel in Kooperation mit externen Wissenschaftlerinnen oder im Dialog mit Politikern. Die Sozial- und Leadershipkompetenzen st?rken also auch das Netzwerk und die Governance der ETH.
Ganz konkret: Welche Vorteile haben die Sozial- und Leadershipkompetenzen für die Mitarbeitenden?
Entwickeln wir die Kompetenzen bei uns selbst und anderen kontinuierlich und leben sie konsequent im Alltag an der ETH, verbessert dies etwa die psychische und physische Gesundheit, steigert das Wohlbefinden und reduziert Stress sowie Reibungsverluste. Insgesamt haben wir dadurch das Potenzial, die Motivation und Leistung sowie die Identifikation der Mitarbeitenden mit der ETH zu f?rdern. Dies führt zu einer geringen Fluktuation und der Sicherung von Fachkr?ften. Mit den Sozial- und Leadershipkompetenzen investiert die ETH also auch ins Thema Nachhaltigkeit.
?Leben wir die neuen Sozial- und Leadershipkompetenzen konsequent, führt dies zu einer geringeren Fluktuation, sprich mehr Nachhaltigkeit.?Sara van Leeuwen
Eingangs sagten Sie, die Kompetenzen sollen die Mitarbeitenden bei der Ausübung ihrer T?tigkeit unterstützen. Haben Sie Beispiele dafür?
Ja, nehmen wir die Kompetenz ?Inklusion leben?. Dadurch reflektieren zum Beispiel Professorinnen oder Professoren st?rker, dass sie – wie alle Menschen – unbewusst dazu neigen, Studierenden, die ihnen ?hnlich sind, ?fter Hilfe anzubieten oder Feedback zu geben. Durch dieses Bewusstsein agieren sie unter Umst?nden fairer. Oder nehmen wir die Kompetenz ?Wohlbefinden f?rdern?. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind stark missionsgetrieben. Wenn sie diese Kompetenz leben, fragen sie sich vermehrt: Wie geht es mir? Wo sind meine Grenzen? Spüre ich diese überhaupt?
Wie werden die Sozial- und Leadershipkompetenzen genau implementiert?
Die Mitarbeitenden sollen m?glichst früh und immer wieder mit den Kompetenzen in Kontakt kommen. Zum Beispiel beim Onboarding, in Diskussionen, Workshops oder E-Learnings. Die Kompetenzen werden in verschiedenste personalbezogene Prozesse, Massnahmen und Produkte einfliessen.
Und was ist der zeitliche Fahrplan für die Einführung der Kompetenzen?
Bei gewissen Prozessen und Produkten sind die Kompetenzen bereits implementiert, zum Beispiel bei kompetenzbasierten Entwicklungsinterviews mit neuen Assistenzprofessor:innen. Bei anderen Projekten wird die Einführung über mehrere Jahre hinweg durchgeführt, zum Beispiel beim ?Lifelong-Learning-Hub?. Dabei geht es darum, einen Lernraum zu schaffen, in welchem Mitarbeitende und Führungskr?fte die Sozial- und Leadershipkompetenzen entwickeln k?nnen. Für die hochschulweite Entwicklung der Kompetenzen gilt in meinen Augen am Ende dasselbe wie für die Entwicklung einer einzelnen Pers?nlichkeit: Es braucht vor allem Beharrlichkeit, Geduld und Fingerspitzengefühl.